Daig

eine Mikrobiosoziologie
partizipatives Forschungs- und Diskussionsprojekt mit Backstube und Labor

making and baking dough and reflecting about the daig – with performances, talks, discussions, sourdough workshops

dates tbc

Was ist das eigentlich, ein Teig? Man kann es von der Konsistenz her anschauen: eine weiche, dehnbare Masse. Oder von der Zubereitung her: eine aus Mehl und Wasser bestehende Masse, die geknetet werden muss. Oder vom Zweck her: eine Masse, die (meist) gebacken und dann (meist) gegessen wird.
Oder man kann es mikrobiologisch anschauen, das ist vielleicht am spannendsten: sehr oft ist ein Teig ein komplexes Biotop, in dem Mikroorganismen leben und eine von uns erwünschte Wirkung erzielen. Die Masse wäre insofern nur die Matrix, in der drin sich so einiges ereignet, das für uns normalerweise unsichtbar bleibt. Im Sauerteig sind es Milchsäurebakterien, im Hefeteig sind es eben Hefen. Bloss im klassischen Rührteig steckt nicht besonders viel Biologie – hier sorgt Backpulver auf eher langweilig chemisch-physikalische Weise für Luftigkeit.
Wir wollen diese Teig-Materialität partizipativ erkunden, wir werden einen grossen Backtisch in den pickpockets.space stellen und jeden Tag neue Teige machen. Die Materialität ist natürlichverwandt mit der Keramik (und auch da spielt der Ofen zum Schluss hin eine wesentliche Rolle), deshalb spannen wir mit «Wett» – Atelier für plastisches Wirken zusammen, über die neue Grünanlage beim Wettsteinhäuschen hinweg. Darf man Teig auch als Skulptur behandeln? Oder wäre das «mit dem Essen gespielt»?
Jeder Teig ist anders, das gilt nicht nur für verschiedene Rezepte, sondern eben tatsächlich für jedes «Individuum» – vielleicht ist ein Teig tatsächlich ein wenig ein lebender Organismus. Denn jeder Teig hat seine charakteristische Mikroflora: auch im Sauerteig gibt es Hefepilze, auch im Hefeteig gibt es Bakterien. Diese Flora hat ein sprichwörtliches Eigenleben. Zusammen mit dem Biokünstler-Netzwerk Hackteria gehen wir diesem Biom auf den Grund – der symbiont wird zu einem Labor und Forschungsort, mit allen nötigen Analyse-Utensilien, Mikroskopen etc. Welche Wildhefen gibt es im Raum Basel? Was wissen wir über die Wechselwirkungen der verschiedenen in den Teigen lebenden Mikroorganismen? Diese Forschung wird immer zum Mitmachen einladen: Mikrobiologie zum Ausprobieren, Citizen Science im ganz zupackenden, spielerischen Sinn.
Gleichzeitig bietet das gemeinsame Teigen eine niederschwellige Gelegenheit, über Soziologien des (städtischen) Zusammenlebens nachzudenken. Teige funktionieren nämlich auch bestens als Metapher: auf kleinem Raum leben eine Unzahl von Mikroorganismen in schönster Koexistenz (und weniger wohl in gnadenloser Konkurrenz). Sie sind sehr wahrscheinlich alle aufeinander angewiesen, damit ein Sauerteig immer schön weiterwächst. Insofern spielt es auch nicht so eine Rolle, dass es da einen etymologischen Schönheitsfehler gibt und der Basler Daig vom Deich herkommt, als begrenzender Wall um die Innenstadt. Als Metapher funktioniert der Teig für eine
Stadtsoziologie ja einiges besser.

Insgesamt will Daig Anstösse geben, um über das Zusammenleben in der Stadt nachzudenken, eine soziale Situation schaffen, die den Austausch erleichtert und Menschen aus ganz verschiedenen Gesellschaftsschichten zusammenbringt.
Und das Projekt will das Bewusstsein schärfen für die Lebendigkeit von Lebensmitteln, für
Prozesse, die auf Mikroorganismen beruhen. Und deren Tätigkeit positiv bewerten: Einzeller sind nicht immer Krankheitserreger, die man besser weg-desinfiziert. Sondern leisten einen wichtigen Beitrag zu nachhaltig produzierten und gesunden Lebensmitteln. Ein Symposium wird Sauerteigexpertinnen aus dem In- und Ausland versammeln, zusammen mit den eingeladenen Künstlerinnnen werden wir über Fermentation, totes und lebendiges Material und Eat Art diskutieren.

symbiont flea market #1: clothes and such

it’s a share fair!

with défilé, performance, music26-28 Jan

bringt kleider usw. die ihr nicht mehr braucht und baut einen kleinen stand auf – oder kommt einfach schauen und shoppen. wir sorgen für das mobiliar und den rahmen: musik, programm, kaffee/drinks.


fr 17-22 — bar ab 19
sa 11-22 — with maybe some music
so 12-18 — kaffee und kuchen

keine standmiete [kleine provision/kollekte für unseren aufwand sagen wir nicht nein]

rare citrus! before christmas

open daily, weekdays 12-19, weekends 10-19

A geometry of tastes and scents, we have 20 varieties: Palestina. Vaniglia, Sarzana Lemons, Cioccolate, Navelina, Clementina, Pomelo, Oroblanco, Star Ruby, Bergamotti, Borneo, Amalfi limone Pane, Volkamer, Meyer, Clams, Lipo, Marrakech, Chinotto, Faustrime

specials:
jeden Samstag Drinks (Sours, natürlich, aber auch Grog und manches mehr)
Dinners, Movie Nights usw. — nach Ansage

new narratives/ancient strata retreat

[Schichten und Geschichten]

22-24 September 2023, Courfaivre/Porrentruy (JU)

stories of old, inscribed into the rocks, and stories anew, to find livable futures

A three-day retreat in the Jura mountains to reflect on fossils and deep time narratives and how they have been uncovered (imagined? re/de/constructed?) by geologists. How can we develop other perspectives on the history of humanity, especially in relation to nature and the earth, the biological and the mineral – non-utilitarian, non-exploitative, circular, symbiotic, non-anthropocentric?

And: let’s get political! How does deep time (going way back into the past) relate to long-termism (going way forward into the future), and why is this Silicon Valley-based ideology so devoid of utopian thinking?

The research findings of the retreat will feed into the exhibition «Past Deep Future» curated by Jan von Oordt and Roland Fischer at EAC (les halles), Porrentruy, opening: 30 September

discussion topics:

evolution of narratives, psychology of media and popular culture/rumors – what makes good stories, when do they hit resonance frequencies? deep time and the gaia theory, history of geology, catastrophism/collapsology and our recurrent longing for the crash, popular tales (non scientific explanations) of fossils, reading landscapes as archives, recent social utopias (dialectic materialism/history as progress vs backward culture/degrowth/community romanticism), solar punk as a new socialist realism, looking back/looking ahead: archives as treasure troves of possible futures, rooted speculations

invited special guest: Hunter Longe, zooming in: Eva Horn

fossil expert: Bernhard Hostettler, Natural History Museum, Bern

book/anarchist movements expert: Fredi Krebs, St. Ursanne

excursions:

collective fossil hunting, visit of the old limestone mine in St Ursanne/Mont Terri project/mountain lab, visit of private book collection of Fredi Krebs (focus area: history of anarchist movements/1960-1980 utopias)

starts: Friday 22 Sept, late afternoon, ends: Sunday 24 Sept, late afternoon

shorter visits also welcome

location:

old Condor bike factory, Courfaivre, Swiss Jura (50mins from Basel, 30 mins from Biel, 1h15mins from Bern, 3h30 from Paris) and EAC (les halles), Porrentruy

costs:

free, accommodation/food will be covered, all transport needs to be covered by participants

more info and registration: info@symbiont.space – first come first served!

Rare citrus for the senses and for the soul

here we go again: rare citrus december at symbiont, coming direct from todolí citrus fundacio. open daily! 10-19h

come and taste more than 20 special citrus varieties (list see below)

– thirsty Thursday: cocktail workshops and drinks til late, every Thursday from 18h (starting next week)
– sour soul: DJs every Friday
 – coffee, cake and books: every Sunday afternoon

List of varieties:

As Above

Erwin Lichtenegger (Pflanzensoziologisches Institut)
Wurzelzeichnungen

2 September – 30 October 2022

offen Mittwoch, Freitag (12-17h), Samstag und Sonntag (14-18h), Mi/Fr mit mixed Root Lunch, Sa/So mit Root Beer Cocktails and Root Snacks

dazu haben wir Wurzelexperten eingeladen – am Samstag lohnt sich der Besuch besonders. Jürg Luster ist Gruppenleiter Waldböden und Biogeochemie sowie Bodenfunktionen und Bodenschutz an der WSL und wird von seinen aktuellen Forschungsprojekten erzählen, in denen es unter anderem um die Rhizosphäre geht, das Zusammenspiel also von Wurzeln, Mikroben und Pilzen im Boden. Marcus Termeer interessiert sich mehr für die metaphorischen Wurzel-Sphären; in einem unlängst erschienenen Essay widmet er sich sozialen Konstruktionen von Fremdheit durch ‚Wurzeln‘ in ökologischen Diskursen, die ‚Pflanzen mit Migrationshintergrund‘ entwerfen und diese in ‚unproblematische Neubürger‘ und zu bekämpfende ‚Integrationsverweigerer‘ unterteilen.

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Die Forschenden am Pflanzensoziologischen Institut (Klagenfurt) legen Wurzelsysteme von Pflanzen an ihren natürlichen Standorten frei. Die dokumentarischen Zeichnungen von Erwin Lichtenegger machen sichtbar, was ansonsten in seiner Komplexität und Tiefe verborgen bleibt.

Die Ausstellung “As Above” kreist zunächst um ein paradoxes Paradigma wissenschaftlicher Illustration: Strebt man eine exakte Dokumentation der Natur an, ist in manchen Fällen die objektive Darstellung (durch ein fotografisches Bild) nicht die Methode der Wahl. Manchmal muss die Natur ästhetisiert werden, um ihr wahres Wesen zu enthüllen. Erwin Lichteneggers Zeichnungen zeigen nicht die – dreidimensionalen – Wurzelgeflechte, wie sie im Boden zu finden sind, sondern Wurzeln “an sich”; seine Zeichnungen können als Abstraktionen betrachtet werden, wenn sie auch sehr nah an den tatsächlichen biologischen Strukturen sind.

Ausserdem fragt “As Above” nach der Ideologisierung von Wissenschaft. Ökologische Forschung hatte im Dritten Reich oft eine politische Schlagseite – gilt das auch für die diese dokumentarischen Preziosen?

http://wurzelforschung.at/

Specials im Rahmen der Kunsttage Basel:
https://kunsttagebasel.ch/institutionen/symbiont/

Jeden Abend: Wurzelschnaps-Drinks
Freitag, 11 Uhr: Präsentation von Monika Sobotik (Pflanzensoziologisches Institut)
Freitag/Samstag: Workshop DIY-Rhizoboxen
Sonntag 15 Uhr: Diskussion, Die (braunen) Wurzeln des Naturschutzes

Letzte Tage! Closing Weekend
29 October: Expert Talks

15h30 Jörg Luster, Vortrag zu Pflanzen-Boden-Interaktionen
16h30 Marcus Termeer, Wurzelmetaphern, Diskussion

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The Researchers at the Pflanzensoziologisches Institut (Klagenfurt) excavate root systems of plants in their natural habitats. The documentary drawings by Erwin Lichtenegger reveal the complexity of what otherwise remains hidden in the depth.

The exhibition “As Above” first of all revolves around a paradoxical paradigm of scientific illustrations: if one aims for exact documentation of nature, in some cases the objective depiction (as through a photographic image) is not the method of choice. Sometimes nature needs to be aestheticised in order to reveal her true nature. Erwin Lichteneggers drawings do not show the – three-dimensional – root networks as they are found in the ground, but rather roots “as they are”, his drawings can be considered abstractions, even if they stay true to the original biological structures.

Furthermore, “As Above” inquires into the ideologisation of science. Ecological research in the Third Reich often had a political slant – does this also hold for these documentary gems?

Specials in the context of the Kunsttage Basel:
https://kunsttagebasel.ch/institutionen/symbiont/

Every evening: root schnapps drinks
Friday, 11 a.m.: Presentation by Monika Sobotik (Pflanzensoziologisches Institut)
Friday/Saturday: Workshop DIY-Rhizoboxes
Sunday 3 p.m.: Discussion, The roots of nature conservation

12. Juni – 14. August 2022

Joana Moll: Inanimate Species
Vidya-Kélie: Hope Motion

double show: female perspectives on technology
zwei Arbeiten zur Natur von Technik bzw. Techniken des Natürlichen

hosted by Géraldine Honauer and Roland Fischer

Vernissage: 11. Juni, 17h

Finissage week: 11 August, 12 August, 14 August open from 5-8pm
there’s home made pizza and drinks

specials!

11 August: Ambulation sound walk with Tim Shaw (starting at 6pm)
14 August: discussion – institutionalised vs. free research

Joane Molls Arbeit „Inanimate Species reflektiert den Ressourcenverbrauch von digitaler Hardware und stellt den rasante Entwicklung im Chip-Markt in ein kritisches Verhältnis zum Rückgang der Biodiversität. Ästhetisch orientiert sich die Installation an Insektensammlungn in den Kabinetten naturhistorischer Museen. Vidya Kelie lässt in „Hope Motion“ die Anziehungskräfte zwischen zwei Magneten einen suggestiven Tanz vollführen. Welchen geheimen Regeln folgen die eleganten Bewegungen – sind da tatsächlich bloss Physik und Zufall am Werk?

open on appointment: 076 200 6754

15. Juni, 10h: Brunch-Symposium: female/feminist approaches to technology, with Vidya-Kélie, Joana Moll, Shusha Niederberger and Barbara Strebel

cocktails for a guest

Art Basel special — we held regular cocktail evenings, out on the street, with great guests.

#1 — 28. Mai: Adrian Notz, Kurator AI Center ETH (und Ex-Cabaret-Voltaire)

#2 — 4. Juni: Germanist Hannes Bajohr, der eine gewisse Obsession für Texte entwickelt hat, die nicht von Menschen geschrieben sind. Vielleicht machen wir ja einen kleinen Turing-Test? Sind nämlich gar nicht mehr so leicht zu unterscheiden, Menschen- und Maschinentexte.

#3 — 12. Juni: Susanna Hertrich, Book Launch Following The Elephant-Nosed Fish

#4 — 14. Juni: Marcel Meury, Kunsthalle Tropical

#5 — 16. Juni: Melanie Bossert, Artist/Google interaction designer

#6 — 17. Juni: Selena Savic, Program lead Make/Sense IXDM

#7 — 18. Juni: Philipp Schrögel, Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (Capas), Heidelberg

Art Basel special

double show: female perspectives on technology

12. Juni – 24. Juli 2022

Joana Moll: Inanimate Species
Vidya Kelie: Hope Motion

hosted by Géraldine Honauer and Roland Fischer

Vernissage: 11. Juni, 17h

Während der Art Basel zeigt der symbiont zwei Arbeiten zur Natur von Technik bzw. Techniken des Natürlichen.

Joane Molls Arbeit „Inanimate Species reflektiert den Ressourcenverbrauch von digitaler Hardware und stellt den rasante Entwicklung im Chip-Markt in ein kritisches Verhältnis zum Rückgang der Biodiversität. Ästhetisch orientiert sich die Installation an Insektensammlungn in den Kabinetten naturhistorischer Museen. Vidya Kelie lässt in „Hope Motion“ die Anziehungskräfte zwischen zwei Magneten einen suggestiven Tanz vollführen. Welchen geheimen Regeln folgen die eleganten Bewegungen – sind da tatsächlich bloss Physik und Zufall am Werk?

in der Art Basel-Woche jeweils offen von 9 bis 12, morgens und abends. Am Morgen gibt es Kaffee, am Abend Drinks. Und Gäste!

15. Juni, 10h: Brunch-Symposium: female/feminist approaches to technology, with Vidya-Kélie, Joana Moll, Shusha Niederberger and Selena Savic

3x3x3 – Glitch Window

3 Videos zu Glitches, während je 3 Wochen, auf (fast) 3m Breite ins Schaufenster gebeamt, jeweils in den Abendstunden: 18-24 Uhr

glitch (n.)
by 1953, said to have been in use in radio broadcast jargon since early 1940s, American English, possibly from Yiddish glitsh “a slip,” from glitshn “to slip,” from German glitschen, and related gleiten “to glide” (see glide (v.)). Perhaps directly from German. Apparently it began as technical jargon among radio and television engineers, but was popularized and given a broader meaning c. 1962 by the U.S. space program.

8. März – 29. März
Istvan Balogh, Current Status, 1. Declaration
2012, HD Video, 17:33 Min

Das dritte Glitch Window wollte eigentlich nichts weiter als den Begriff des Glitch aus dem digitalen Feld ins allzumenschliche zu holen – Systemversagen und Ausrutscher kennen nicht nur Computerhirne. Nun hat die Arbeit von Istvan Balogh eine traurige Aktualität gewonnen: 

Everyone has the right to life, liberty and security of person.
Universal Declaration of Human Rights, Article 3.

Everyone? Das dritte Glitch Window setzt da ab heute abend ein paar Fragezeichen. Die Videoarbeit von Istvan Balogh lässt uns einem Gehirn beim entgleisen zuschauen. Und sie spielt mit unseren Erwartungen, was Gerechtigkeit und überhaupt richtig und falsch angeht. Ich habe mal folgendes über die Arbeit geschrieben, als ich sie in Bern entdeckt habe: Current Status, 1. Declaration (2012) ist eine ziemlich ungemütliche Arbeit, und das hat zunächst einmal mit der wüsten Sprache des Protagonisten zu tun und der Unbezwingbarkeit, mit der die Unflätigkeiten immer wieder in die sorgsam abgelesenen Artikel der Erklärung der Menschenrechte hineinfahren. Der Mann erlaubt sich allerdings keinen Scherz mit der immer wilderen Besudelung der Menschenrechte – er hat das Tourette-Syndrom und kann nicht anders, es schiesst unwillkürlich und oft imunpassendsten Moment aus ihm heraus. Und es ist eine hinterhältige Arbeit, zunächst einmal weil man zum Voyeur wird – da wird ein medizinisches Faszinosum vorgeführt, und man kann nicht anders, als zuzuschauen, wie die Deklamation springt, von ruhig zu unflätig und wieder zurück – dem Geschehen gebannt zu folgen und immer auf den nächsten Aussetzer zu warten. Das Tourette-Syndrom hat seinen festen Platz im psychiatrischen Kuriositätenkabinett, das wusste schon Oliver Sacks – die Krankheit markiert die unheimliche Grenze zwischen Komödie und Dämonie. Und da eben liegt der Clou von Baloghs Arbeit: Indem er den Tourette-Patienten nicht irgendeinen Text (der Effekt wäre überall garantiert), sondern die Erklärung der Menschenrechte vorlesen lässt, kommt es immer wieder zu einem bösen Auseinanderklaffen von behauptetem Menschenrecht und Behinderten-Realität. Natürlich: auf dem Papier hat auch ein Tourette-Betroffener alle diese Rechte, aber hier wird auf sehr augenfällige Weise vorgeführt, wie schwer seine Eingliederung in einen gesellschaftlichen Alltag tatsächlich immer wieder sein wird. Eine beklemmende Erkenntnis, die auf einmal gar nichts Voyeuristisches mehr hat – vorgeführt werden nun wir anderen.

14. Februar – 7. März:
Michel Winterberg, Zeitstrom
2022, interactive video/audio installation

«Zeitstrom» macht die Simultaneität menschlicher Lebensrealitäten sichtbar, die parallel im Strom der Zeit verlaufen. Jede einzelne dieser Realitäten ist bedeutend in sich, gleichzeitig aber auch komplett unbedeutend im Vielklang all der anderen Realitäten da draussen. Das Original-Videomaterial wurde vom Künstler 2014 in Delhi aufgenommen. Michel Winterberg versieht es mit einem selbstgeschriebenen Code mit Glitches, die eine weitere visuelle Ebene schaffen, ein belebtes digitales Gemälde, das wiederum auf die Bewegungen der Betrachterinnen und Betrachter reagiert.

«Zeitstrom» (Eng. time stream) transforms the phenomenon of the different human realities of life that exist simultaneously in parallel in the stream of time. Each one is individually important for oneself and for one’s surroundings, but completely negligible in the enormous quantity of realities formed by all mankind. The original video footage was recorded by the artist in 2014 in Delhi. He runs these through his own programmed code to create glitches which create a new layer like moving paintings.

Twitter:
@GlitchYourSelf
@MichelWinterb

https://michelwinterberg.ch

25. Januar – 14. Februar:

Timo Ullmann, Touchscreen
2020, FullHD, 12 min

Ein sehr haptischer Glitch – ein kaputter Touchscreen fabriziert wunderbar fliesende und gleitende Fehlmuster. Das Video zeigt manuell generierte Bildstörungen in Nahaufnahme. Durch Druck auf den LCD-Bildschirm und Manipulation der Flüssigkristalle kreiert ein Finger vergängliche Bilder. In Interaktion mit den Pixeln, farbigen Linien und der amorphen, schwarzen Fläche des Bildschirms entstehen flüchtige Kompositionen. Die Technologie wird nicht für die Darstellung eines digitalen Bildes genutzt, sondern als Material untersucht.